Diesen Beitrag werde ich eher kurz halten. Es geht darum, dass die Suche nach Spiritualität heutzutage ein richtiger Trend geworden ist. Das Internet ist voll davon und es scheint das Verkaufsargument schlechthin zu sein. Alles ist inzwischen auch als spirituelle Variante erhältlich – natürlich gegen einen nicht geringen Aufpreis.
Und auch viele Menschen sind von Kopf bis Fuß extrem spirituell.
Aber sind sie das wirklich? Oder ist auch das nichts weiter als eine Ego-Ausprägung? Gibt es eine Art „Kopferleuchtung”, die nicht mehr ist, als nur ein weiterer Gedanken, den man dem inneren Chaos im Kopf hinzufügt? Natürlich ist es wahr, dass unser eigentliches Selbst nicht begrenzt ist, dass wir im tiefsten Inneren den göttlichen Kern tragen. Keine Frage. Und es ist auch wahr, dass wir früher oder später wieder an diese Wurzel gelangen werden – entweder noch während wir leben, Stück für Stück. Oder dann halt spätestens, wenn wir sterben. Aber in der Zwischenzeit unterliegen wir in vollem Ausmaß unserem Handeln und dessen Konsequenzen. Ohne wenn und aber.
Wenn Dir zum Beispiel jemand mit der Faust ins Gesicht schlägt, kannst Du natürlich sagen: „Hey, ich bin frei. Ich bin nicht dieser Körper. Ich bin nicht begrenzt durch diese Schmerzen, sie sind nicht wahr und ich bin weder der Schmerz, noch der Körper. Also, schlag weiter zu, yeah.” Ja, das kannst Du sagen und Dir einreden. Und es ist ja auch prinzipiell wahr. Doch es reicht halt nicht, sich das nur einzureden, weil man es mal irgendwo gelesen hat. Es reicht auch nicht, sich von seinem Körper abzuspalten, damit man dem ganzen Leid entfliehen kann.
https://www.youtube.com/watch?v=uA13nBEHk‑U
Nicht wenige Menschen tun das. Manche, weil sie in der Kindheit schlimme Sachen erlebt haben, die der junge Mensch nicht verarbeiten konnte. Andere, weil sie sich nicht länger den Herausforderungen des Lebens stellen möchten. Und wieder andere, weil sie „Erleuchtung” erlangen wollen – so ähnlich wie eine ultimative Trophäe.
In all diesen Fällen ist das jedoch eine Flucht, eine Flucht letztendlich vor sich selbst und dem Leben. Und wie jede nichtendente Flucht endet auch diese mit Erschöpfung, Resignation und Unglück.
Ich bin in meinem Leben vielen, sehr vielen Menschen begegnet, die „Spiritualität” in dieser Weise benutzt haben. Es sind Menschen – und das sieht man ihnen an – die im allerinnersten leiden. Und selbst dieses Leid haben sie in das Gesamtsystem hineingepackt. Sie identifizieren sich damit und behaupten zum Beispiel, dass die richtige Portion Leid den wahrhaft spirituellen Menschen kennzeichnet.
Das ist natürlich Unsinn.
Es ist wahr, dass man auf dem spirituellen Weg nicht vor Leid allzusehr zurückschreckt, doch eher in der Weise, wie man nicht vor Dornengestrüpp zurückschreckt, auf einer Wanderung zum Berggipfel. Man schaut, ob man es umgehen kann und falls das nicht möglich ist, geht man halt durch.
Wahre Spiritualität vereint die göttliche Dreifaltigkeit:
1. Den Körper
2. den Geist, also den Verstand
3. und das Göttliche, also Deine allerinnerste „Seele”, oder wie man das jetzt nennen mag.
In dem Sinne ist es eine gute Idee auch in dieser Weise zu leben:
1) Du ehrst Deinen Körper, in dem Du ihm Schaden fern hältst und ihn auf allen Ebenen nährst. Essen, trinken, Sport, Ruhe, Kreativität,… die Liste ist lang.
2) Du entlastest Deinen Verstand, indem Du meditierst und zum Beobachter Deiner Gedanken und Emotionen wirst.
Und 3) Du öffnest Dich mehr und mehr der Göttlichkeit, indem Du die Göttlichkeit in allem entdeckst – in jedem Stein, in jedem Tier und in jedem Menschen.
Es gibt dazu eine wunderbare Geschichte, die ich Dir gerne erzählen möchte.
Einst ging eine Gruppe Mönche durch den Dschungel. Da riss sich ein Elefant von seinem Treiber los und rannte wütend auf die Mönche zu. Der Elefantentreiber rief: Geht aus dem Weg! Geht aus dem Weg. Und alle Mönche gingen aus dem Weg – bis auf einen. Der blieb stehen.
Der Elefant rannte ihn um und der Mönch wurde schwer verletzt. Die anderen Mönche trugen ihn ins Kloster und legten ihn auf die Krankenbahre.
Der Abt fragte den Mönch: Warum bist Du denn nicht ausgewichen?
Da sprach der Mönch: Nun, ich dachte Gott-in-Elefant würde mir nichts zu Leide tun.
Da sagte der Abt: Ja, aber hast Du denn nicht Gott-in-Elefantentreiber gehört, der Dich gewarnt hat?
So. Und woran erkenne ich nun, dass mein spiritueller Weg der richtige ist?
Na, ganz einfach, indem ich in höchster Ehrlichkeit mich selbst frage, ob es mir mehr und mehr gelingt Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen.
Das heißt:
Gesundet mein Körper immer mehr?
Nehme ich meine Gefühle immer deutlicher wahr und bin ich in der Lage damit immer ruhiger und harmonischer zu werden?
Und: Bin ich in der Lage mit ALLEN anderen Menschen in immer lebendigeren, tieferen Austausch zu treten – ohne mich abzugrenzen, aber auch ohne mich selbst darin zu verlieren?
Und mehr noch: Erlebe ich immer mehr, dass mein kleines ICH unwichtig wird. Ich mehr und mehr Teil des großen Ganzen werde. Ein Beitrag für die gesamte Schöpfung und nicht nur für mich, meine Freunde oder nur meine Familie.
Natürlich steht an erster Stelle die eigene Gesundung. Aber eben nur als erster Schritt, an dem so viele Menschen hängen bleiben. Doch dann ist es meine Verantwortung als gesunder Mensch in die Welt zu treten und einzustehen für Liebe und Verbindung. Ein Beitrag zur Gesundung der Welt zu werden.
Manche Menschen gehen diesen Schritt zu spät, indem es sich nur und nur um die eigene Nabelschau dreht. Andere gehen diesen Schritt zu früh, indem sie sich nicht den eigenen Themen stellen und nur um die anderen „kümmern” – auch dies ist letztlich ein Bärendienst an der Welt. Hier das richtige Maß zu finden – ganz realistisch im Alltag – ist die hohe Kunst der Spiritualität.
Spiritualität heißt dann in letzter Konsequenz die Welt zu sehen, wie sie IST und nicht, wie ich sie gerne hätte. Und dann bekommt auf einmal ALLES einen Platz in mir und der Welt: Liebe und Hass, Krieg und Frieden, Freude und Schmerzen. Dann hat die Dualität wahrhaftig ein Ende.
Und das ist letztlich der Nährboden der Spiritualität.
Jetzt ist es doch wieder länger geworden.
Macht aber nichts.
Oder?
Alles Liebe,
Dirk Liesenfeld.
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