Das neue Jahr hat begonnen, der Alltag scheint wieder zurückgekehrt zu sein. Gestern hörte ich eine Frau sagen: „Naja, jetzt ist ja das ganze Tamm-Tamm endlich vorbei (sie meinte Weihnachten und Neujahr) und wir ham wieder den ganz normalen grauen Alltag.”
Einen ähnlichen Satz höre ich auch oft bei Seminarteilnehmern in der Abschlußrunde: „Mensch, wie schön es hier ist, ich fühle mich so warm innerlich. Am meisten beschäftigt mich jetzt, daß ich gleich wieder zurück in den Alltag muss.” Manche haben sogar richtig Angst davor. Wir sagen dann oft sowas wie: „So, wie Du Dich jetzt gerade fühlst, also die Wärme und Geborgenheit, diese innere Komplettheit und Ruhe – das ist wie Du eigentlich vom Leben gemeint bist.”
Dann schauen uns die Teilnehmer oft ungläubig an und in den Augen steht sowas geschrieben wie: „Das glaubst Du doch selbst nicht, Alter.”
Die wichtigste Frage, die sich hier stellt liegt ja eigentlich auf der Hand: Was unterscheidet den „Alltag” vom „Seminar-Abschlußrunden-Emotionalzustand” (tolles Wort). Wenn man hier genau nachfühlt wird es leicht deutlich:
Der eine Zustand ist Einheit: Körper, Seele und Verstand gehen Hand in Hand – sind beste Freunde und ergänzen sich vorzüglichst. Alltag bei den meisten Menschen ist dagegen eher geprägt von einem ständigen Ringen der „Dreifaltigkeit” in einem, oder nicht?
Ein Beispiel:
Es ist sechs Uhr morgens, der Wecker klingelt. Müde schält sich Otto (Normalverbraucher) aus dem Bett.
Der Körper signalisiert verzweifelt: „Ich bin müde, ich bin müde, ich bin müde…”
Der Verstand sagt in kühler Logik: „Ich muss aufstehen, muss zur Arbeit, soooooonst… (drohernder Unterton)”
Das Emotionalsystem, quasi die Pufferzone zwischen Körper und Verstand, reagiert prompt mit Panik, Enge, unangenehmen Gefühlszuständen.
(Ich habe mal den Satz gelesen: „Gefühle sind die Reibungsschmerzen zwischen dem menschlichen Willen und dem Leben. Oder anders gesagt: Da, wo wir dem Leben, also dem, was IST unseren Willen aufzwängen wollen, da entstehen schmerzvolle Emotionen. Oder nochmal buddhistisch angehaucht: „Kein Ich, keine Probleme”.)
Aber zurück zu Otto:
Natürlich nimmt er – wie jeden morgen – die quälenden Gefühle in seinem Körper wahr, doch mit schlafwandlerischer Sicherheit reagiert er wie jeden Morgen mit einer Tasse Kaffee, die das alles überdeckt (kann auch eine Zigarette, Zucker, Arbeit… sein)
Nun, eigentlich geht es dann so auch den ganzen Tag weiter, bis hin zum abendlichen Fernsehprogramm mit den Chips oder dem Bier oder der Schokolade…
Es ist nichts an sich „falsch” daran, so zu leben – Milliarden Menschen auf dem ganzen Globus tun es. Doch ich glaube, daß in dieser Diskrepanz zwischen „Alltag” und „Seminar-Abschlußrunden-Emotionalzustand” der Schlüssel liegt zum … (Oh Gott, wie sage ich es jetzt nur um nicht pathetisch zu klingen) … inneren Frieden und damit zum Weltfrieden. (Mist, jetzt ist es raus und es klingt pathetisch)
Der größte Durchbruch in meinem Leben – quasi die erste „Erleuchtung” – entstand in mir an einem Seminar-Sonntag-Abend. Es war ganz viel Liebe im Raum, es war vor allem ganz viel Liebe in mir und da fragte ich mich: Was ist eigentlich Liebe? Und spürte eine ganz einfache Antwort: Liebe ist Ein(s)heit. Einfach nur die Abwesenheit von Kampf. Eigentlich das einfachste auf der Welt.
Es kam dann eine Art göttliche Fügung über mich, die ganz gewisse innere Absicht: Ich werde alles tun, was es braucht um das in mein Leben zu lassen. Ich weiß zwar nicht wie das geht, aber ich werde nicht ruhen, bis ich es herausgefunden habe. Der Weg danach ist unendlich steinig, voller Schmerzen und Ängste – doch es ist ein lohnenswerter Weg. Es ist der einzige Weg, der wirklich Sinn macht, denn die Belohnung ist ein dauerhafter Seminar-Abschlußrunden-Emotionalzustand
Alles Liebe,
Dirk.
www.Liesenfeld.de
Lieber Dirk,
es ist schon erstaunlich, wie sehr die Beiträge von Dir und Sarah die reichhaltigen Gefühle wachrufen können, die in den Seminaren hochgekommen sind, sie klingen durch eure Texte nach wie der Klang einer Klangschale.
Ganz lieben Dank für euren Blog, eine schöne Idee!
Heute bin ich durch die Winterlandschaft gelaufen, es war so ein richtige schönes Januarlicht, und in mir schwang Dein Neujahrstext. Es war so wie meist: der Verstand folgt dem Gefühl. Irgendwas rief in mir: „das ist für dich doch anders!”, aber es hat gedauert, bis ich das für mich klarer sehen konnte. Zumindest ist es irgendwie komplizierter, ich finds jedenfalls gar nicht einfach.
Liebe mag das Gegenteil von Kampf sein. Aber das ist nicht alles. Kampf ist Ablehnung, Liebe ist Annahme. Aber dann ist Liebe auch die Annahme des Kampfes in mir! Liebe ist die Annahme dieses Dualismus und damit hat Liebe für mich viel mehr mit Vielfalt als mit Einsheit zu tun. Wie ja auch meine Gefühle insgesamt mit meinem Verstand so ein Paar bilden.
In Tantraseminaren bin ich ALL diesen Facetten von mir viel intensiver begegnet als im Alltag. Natürlich liebe auch ich diesen Seminar-Abschlußrunden-Emotionalzustand (;-)), aber ich bin auch meinem wirklichen Verstand und viel klareren Aggressionen begegnet – eigentlich in jedem Seminar. Und es war auch heilsam Raum zu haben nachzuspüren, warum mich eigentlich etwas so richtig annervt.
Ich hatte nach keinem Seminar so ein Wehmutsgefühl. Ich fühlte mich eher austariert, komplett. Ich wollte diese Komplettheit hinaustragen. Und es hat auch jedes Seminar andauernde Veränderungen in meinem Leben bewirkt, bis heute – wie auch sonst.
Weltfrieden ist ein schwieriges Wort für mich. Aber Liebe ist für mich nicht nur das Gegenteil von Kampf, sondern darüber hinaus die Annahme von allem, was sonst in den Menschen ist, in mir und in anderen. Die Liebe zu mir ist wie ein Dach über allem in mir und ist somit ehrliche und komplette Annahme, von meiner Zuneigung, meiner Aggression, meinem Verstand, meinem Impuls. Das gleiche gilt für mein Gefühl anderen gegenüber. Der Weg zu diesem Ziel, mich und andere so vorbehaltlos annehmen zu können ist für mich unheimlich steinig. Aber auch das gilt es ja anzunehmen…;-)
Ich danke Dir sehr für Deinen tollen Beitrag, der schon über so viele Stunden zurückliegende Seminare für mich so lebendig gemacht haben. Ein unheimlich schönes Gefühl!
Liebe Grüße,
Tim
Lieber Tim,
es freut mich, daß Du den Text als Anlaß genommen hast selbst zu denken, selbst zu hinterfragen und vor allem Dich selbst zu spüren. Und Du bist da auch einer richtigen heißen Fährte auf der Spur. Denn die Welt ist, wie sie ist. Da gibt es einfach unaufhörlich Kampf – nicht nur im entfernten Afrika, sondern im ganz, ganz nahen Umfeld. Was mache ich damit? Was heißt „Frieden” in dieser Hinsicht? Was bringt in dieser Hinsicht den Frieden in mir?
Ich danke Dir für Deinen Mut Dich solch unbequemen Fragen zu stellen.
Alles Liebe,
Dirk.
Hallo Dirk!
ja, auch ich habe diesen „seminar ‑abschlussrunden-emotionszustand” im tantraseminar Okt./Nov. sehr stark gespürt, aber eigentlich war dieser zustand vom ersten tag an schon da. darin ward ihr beide sehr stark involviert, aber auch die gesamte gruppe, es stimmte einfach alles.
zumal, wenn man nach 12 jahren suche tief in sich etwas wiedergefunden hat, aber zurück im alltag massivst bemerkt, dass man in die dualität zurückkatapultiert wurde. und in dieser dualität ist man leider nicht alleine oder mit ähnlich denkenden menschen zusammen, sondern oft mit genau dem gegenteil. und dann ist es verdammt schwer, diese liebe, die man erfahren hat, zu halten.
zu viel an vergangenheit sind da bei sich und auch dem alten und neuen gegenüber, eingeschliffene alte muster „am werk” (auch wenn sie eigentlich „über” sind, die aber aus gewohnheit gehalten werden, da man niemanden verletzen will, zumindest glaubt man das oder das gegenüber, ist davon überzeugt, aber zwangsläufig wird man immer jemanden verletzen).
und durch diese alten muster verpasst man in sich und im anderen die liebe, und das alles nur aus lauter rücksichtnahme. und lieber der ganzen welt seine liebe und aufmerksamkeit schenkt, sie für sich aber nicht in anspruch nimmt, darunter leidet, dass man sie nicht lebt, aber man entsagt sich die daraus entstehende nähe und verletzlichkeit zu leben, und kann sie aus lauter angst nicht zulassen.
so schwankt man häufig zwischen „himmel und hölle”.
du hast recht dirk, liebe ist einheit und die abwesenheit von kampf. und auch wenn man glaubt, dies in sich und einem gegenüber gefunden zu haben, sind da doch so viele hürden zu überwinden, denn man ist es eben nicht allein, der duale pol steht einem gegenüber, der sein innerstes vielleicht einfach nicht auf dauer zulassen kann, es aus lauter rücksichtnahme nicht zu leben vermag, nicht alle fesseln abstreifen kann.
und so geht es wahrscheinlich hier auf unserer physischen erde nur darum, diese liebe, diese einheit in sich zu finden und zu leben, wo es doch so wunderschön wäre, sie mit jemandem gemeinsam leben zu können.
weißt du, ich sehe bei meinen patienten so oft dieses „blöde spiel” zwischen nähe und distanz, was die menschen miteinander spielen.
lässt der eine die nähe zu, geht der andere auf distanz und umgekehrt. warum können wir es nur so schlecht zulassen, die liebe gemeinsam zu leben, um sie so in die welt zu bringen.
wieviel leichter wäre die annahme des physischen todes, um wieviel leichter könnten wir in diese allesumfassende liebe, die uns nach dem tod erwartet, hinübergleiten, wenn wir sie hier auf dieser unserer erde schon kennengelernt oder gar gelebt hätten.
aber ganz einfache blöde zwänge, in die wir uns selbst nur begeben haben oder alte verhaltensmuster aus unserem familiensystem halten uns immer wieder davon ab, in die liebe zu gehen. und so sterben wir schon innerlich lange bevor der physische tod eintritt.
aber in der natur oder bei euren seminaren bekommt man immer wieder einen einblick, wie liebe gelebt werden könnte.
auch ich versuche schon seit langer zeit herauszufinden, wie es geht, in diese einheit und die abwesenheit von kampf zu gelangen, was mir aber bisher noch nicht gelungen ist. es gibt immer wieder momente, in denen ich das spüre, aber die sind leider immer nur sehr kurz. ist zwar ein anfang, aber .….…
namaste
mascha