Wodurch entsteht Missbrauch, und wie kann man ihn auflösen?
Sehr häufig und immer häufiger begegnen mir missbrauchte Menschen – sowohl im alltäglichen Leben, als auch im Seminar. Überwiegend Frauen, aber nicht nur.
Was ist denn Missbrauch? Das Wort besteht aus zwei Anteilen, nämlich Miss, was für falsch steht und Brauch was für gebrauchen steht. Der Missbrauch ist also ein falsches gebrauchen anderer Wesen oder sich selbst.
Wir leben in dieser Welt mit anderen Menschen und Wesen und dass wir diese brauchen liegt auf der Hand, denn sonst wäre dieses Leben ein sehr einsames. So – und dabei machen wir voneinander Gebrauch, das ist ja ganz normal.
Doch wann wird der Gebrauch zu Missbrauch?
Nun, immer da, wo der mächtigere den schwächeren mithilfe von Gewalt zu etwas zwingt, was nur der stärker von den beiden möchte. Gewalt gibt es dabei in offensichtlicher Ausprägung, zum Beispiel körperliche Gewalt, aber auch in subtileren zum Beispiel Manipulation, aber auch durch Systeme. So ist zum Beispiel der Kapitalismus in seiner ganzen Weltumspannenden Struktur ein Missbrauchsystem. Das habe ich als Diplom-Kaufmann schon früh begriffen.
Der missbrauchte Mensch erlebt den Missbrauch als echte Gewalt, die sich über kurz oder lang auch in einer körperlichen Symptomatik niederschlägt. Und es gibt sogar einmalige Missbrauchsituationen, die sofort eine tiefen Scharte im Missbrauchsopfer schlägt.
Und das ist das eigenartige: jene Missbrauchsscharten scheinen weitere Missbräuche magisch anzuziehen, so als ob das, was im dunklen ruht auf sich aufmerksam machen wollte, so dass es erlöst werden kann.
Missbrauchte Menschen wählen meist zwischen zwei verschiedenen Umgangsweisen mit den ungelösten eigenen Schatten auf der Seele:
sie werden und bleiben in der Opferrolle – Frauen machen das überwiegend so.
(Dieses Video gibt es übrigens auch auf Englisch)
Oder Sie nehmen die Täterrolle ein – Männer machen das häufig so.
Und dadurch schließt sich der Kreis; eine andauernde Aneinanderreihung von Übergriffen, ein endloser grausamer Tanz zwischen Tätern und Opfern.
Manche Missbrauchslinien lassen sich über Hunderte, vielleicht sogar Tausende Jahre zurückverfolgen: von der Großmutter auf die Mutter, von der Mutter auf den Sohn usw.
Diese Eigendynamik läuft aus sich heraus, wie ein Dominostein, der den nächsten umwirft. Eine eigene dunkle Energie, die aus sich selbst entsteht und sich selbst am Leben erhält. Und erst wenn ein Dominostein in der Reihe stehen bleibt, endet dieser Wahnsinn.
Doch wie passiert das, dass ein Dominostein nicht fällt?
Es braucht einen hohen emotionalen Aufwand für einen Menschen, um sich diesem finsteren Sog zu entwinden, und er besteht aus zwei Anteilen:
dem Schutz und der Heilung.
Des Schutzes Werkzeug ist die Wut.
Der Heilung Quelle ist die Vergebung.
In einem Bild gesprochen: ein Ritter dessen Brust verletzt wurde und nun eitert und schmerzt, muss sich schützen, indem er eine Rüstung anlegt, denn sonst werden immer wieder Schläge und Streiche auf der Wunde landen. Erst dann kann die Wunde aus sich heraus heilen. Ist die Wunde nun verheilt, kann es sein, dass er fortan nur noch dem Frieden und der Liebe dient, weil er nun weiß, wie schrecklich die Folgen des Kampfes sind.
Wenn Du nun einen Missbrauch in Dir trägst, so finde ihn, indem Du ihn ganz fühlst und annimmst. Und aus dieser Präsenz nun die unverrückbare Entscheidung triffst, Dich zu schützen – zur Not mit einer gerechten Wut: Finger weg! Das will ich nicht!
Doch das ist nur der erste Schritt. Bliebe es dabei, würdest Du zu dem, was Du fürchtest. Du würdest zum Täter werden an den Menschen, die eigentlich nichts mit dem ursprünglichen Missbrauch zu tun haben.
Der zweite Schritt ist nun die Vergebung – nur sie lässt die Wunde heilen. Übe Dich in Mitgefühl für den Menschen, der Dir etwas angetan hat. Du musst ihn nicht lieben und auch nicht ihm nah sein. Aber mache Dir bewusst, dass niemand, NIEMAND Böses einfach nur aus Spaß an der Freude tut. Jede schreckliche Tat, ist die Folge einer früheren schrecklichen Tat. Der Täter hatte einfach nicht die Möglichkeit oder Stärke die Kette zu durchbrechen.
Vergebe dem anderen, und vergebe vor allem auch Dir selbst. Viele Missbrauchsopfer leiden vor allem daran, dass sie sich selbst eine Schuld geben. Doch Schuld ist ein Wort aus einem veralteten Konzept, welches noch nie Schönes hervorbrachte.
Das Leben besteht aus Ursache und Wirkung und die Liebe ist das göttliche Element, welches uns auf dem Pfad des Lebens leitet – wenn wir sie lassen…
Alles Liebe,
Dirk Liesenfeld.