Wir haben grade mal wieder die Weihnachtszeit und da berührt mich ein Thema ganz besonders: Der Frieden.
Lange Zeit dachte ich, daß man nur selbst friedlich genug sein müßte und dann würde das schon werden mit dem Frieden um mich herum. Das ist aber nicht so, kann auch gar nicht so sein – was für ein Größenwahn. Das hieße doch eigentlich: Wenn ich nur friedvoll genug wäre, dann herrscht auf einmal Frieden in der ganzen Welt, denn die Welt ist ja das, was letztendlich um mich herum ist. Und es geht ja auch nicht wirklich um den Frieden in der Welt, es geht um den Frieden in mir. Je mehr ich im Widerstand bin mit dem was ist: Krieg, Gewalt, Ungerechtigkeit, Armut. Je mehr ich sage: „Das dürfte nicht sein”, umso mehr erzeuge ich Unfrieden in mir.
Will ich wirklich zu einem „Friedensstifter” werden in der Welt, kann das nur geschehen indem ich den Frieden in mir unaufhörlich suche – trotz und gerade dem, was um mich herum sich abspielt. Das ist manchmal gar nicht so leicht, man reagiert einfach so schnell und wird dann zu dem, auf was man reagiert.
Ich kenne da zwei schöne Beispiele aus dem „wahren” Leben – dem PKW-Straßenverkehr.
Da hatte ich mal eine Situation, wo mich ein anderer Verkehrsteilnehmer anhupte und mir den Vogel zeigte. Ich weiß tatsächlich nicht genau, was ich getan habe um das bei ihm auszulösen, aber er wird sicherlich seine Gründe gehabt haben. Und ruck-zuck – ich habe es gar nicht wirklich mitbekommen – sehe ich mich selbst mit steil nach oben gerecktem Mittelfinger. Mist, das ist aber gar nicht spirituell (Hoffentlich sah niemand meinen Aufkleber hinten am Auto mit www.Tantrazentrum.de drauf)
Was aber noch viel stärker ist: Den ganzen Tag trug ich die ganze Geschichte in mir spazieren. Mal war ich auf den Typen im Auto sauer, mal auf mich selbst, mal auf das Leben an sich und sogar auf meinen Sohn habe ich das ganze auch noch projiziert. Erst als ich mich hingesetzt habe und diesen Emotionsbrei in mir gespürt habe, da zeigte sich auf einmal wieder der Frieden.
Im anderen Beispiel war es ähnlich mit einem LWK-Fahrer. Er hupte und schlug sich mit der flachen Hand vor den Kopf um mir meine (aus seiner Sicht empfundene) Beschränktheit mitzuteilen. Diesmal war ich wacher, blieb erstmal ruhig. Spürte seine Wut und Aggression wie sie auf mich einprasselten – Kein schönes Gefühl, da mag man lieber um sich schlagen als zu spüren. Nach einigen Sekunden passierte etwas erstaunliches. Die Gefühle gingen durch mich hindurch, wie durch eine dünne Nebelwand. Ich konnte sie noch immer spüren, aber ich verwechselte mich nicht mehr damit. Und auch bei dem LKW-Fahrer passierte etwas: Mit einem mal erstarrte er und sah sich selbst im Auto herumtoben, ich glaube ihm war sein Verhalten peinlich. Er legte den Gang ein, blickte verwirrt zu mir und ich lächelte ihn an. Er fuhr weiter und ich sah ihn natürlich nie mehr… (Berlin ist groß)
Friedlich sein heißt als allererstes gewillt zu sein zu spüren, was das Leben mir zeigen möchte. Ohne Reaktion, ohne Abwehr, ohne Verdrängung. Das ist sehr unangenehm, manchmal kaum auszuhalten. Und dann, wenn es fast keine Handlung mehr im Außen braucht, zeigt sich auf einmal die Wahrheit. Sieht man das Leben, so, wie es wirklich ist. Setzt man die dreckige Brille ab und sieht das Leben kristallklar. Oft braucht es dann gar nicht mehr so viel Handlung im Außen, manchmal aber erst recht.
Carmen (manche kennen sie aus den Seminaren) erzählte mir da mal eine Geschichte, die ich sehr lehrreich fand. Wir gingen gerade durch Berlin und sahen eine alte Frau, die am Boden saß und bettelte. Carmen berichtete mir, daß es ihr früher sehr schwer fiel an bettelten Menschen vorbei zu gehen, weil sie das mit einer Welle von Schuldgefühlen (weil es ihr gesundheitlich und scheinbar finanziell besser ginge) erfüllte. Also gab sie der alten Frau 20€. Als sie zwei Stunden später wieder an der Frau vorbei kam, torkelte die Frau betrunken mit vollgepinkelten Hosen und einem Einkaufsbeutel voller klappernder Flaschen in der Hand (offensichtlich von den 20€ erworben) über den Gehsteig und konnte kein einziges klares Wort mehr artikulieren. Carmen hat sich dann mit dem Gefühl des Mitleids und Schuld auseinandergesetzt und kam dabei an ihren eigenen Schmerz. Sie stellte fest, daß sie sich mit den 20€ fast so etwas wie „freikaufen” wollte von diesen Gefühlen der Schuld in ihr.
Frieden entsteht da, wo ich mit-fühle.
Und nur daraus entsteht dann eine angemessene Handlung, die wirklich zum Frieden in der Welt beiträgt.
Alles Liebe,
Dirk.
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