Wenn ich ganz ehrlich bin, bin ich schon seit dem ich Denken kann, ein Zuckerjunkie gewesen. Schon als kleines Kind mochte ich Süsses.
Ich hatte als 6- jährige mein gesamtes Taschengeld – es waren damals eine Ostmark im Monat – regelmäßig in die „HO-Kaufhalle” gebracht, um mir dort Bonbons oder kandierte Nüsse zu kaufen und wenn ich mit meiner Mutter einkaufen ging, stand ich immer vor dem Süsswarenregal und „bettelte” nach etwas Süssem. Ich war im „Betteln” so talentiert, dass immer eine Kleinigkeit im Korb landete, wobei diese Kleinigkeit stets durch Fünf (für meine zwei Schwestern und für meine Eltern) geteilt werden musste. Die Teilung durfte ich vornehmen. Jeder bekam seinen Anteil. Blieb ein Stück übrig, so durfte ich es behalten. Blieben zwei Stücke übrig, so bekamen diese beiden Teile meine Eltern.
Meine Geschwister vertrauten mir, dass ich alles gerecht aufteilte und das tat ich auch. Manchmal verzichtete ich auf das einzelne Stück und gab es meiner großen Schwester. Und manchmal gaben mir meine Schwestern von ihren Anteilen ein paar Stücke zurück, weil sie wussten, dass mich dieses Geschenk total glücklich machte. Sie freuten sich für mich, wenn ich mit glänzenden verspielten Augen mich über diese Kleinigkeit freute und Danke sagte. Aber sie sagten auch zu mir: „Wir können es uns nicht mit anschauen, wenn Du nichts Süsses mehr zum Naschen hast und darunter leidest. Deshalb bekommst Du etwas von uns.” In Wahrheit gaben sie mir etwas von ihrem Anteil, weil ich dann endlich mit meinen bettelnden Augen Ruhe gab. Ich litt wirklich, wenn keine Süssigkeiten im Hause waren und das war oft so. So war ich am jeden Monatsanfang mit meiner einen Mark wieder in der Kaufhalle und löste diese in Bonbons ein oder ich vergriff mich am richtigen Industriezucker, der ja immer zu Hause war. Er schmeckte mir eigentlich überhaupt nicht. Ich fand ihn sogar ekelig, aber mein Innerstes gab dann endlich Ruhe.
Damals habe ich mir natürlich noch keine Gedanken darüber macht, was Zucker für mich wirklich bedeutet. Dies tat ich auch nicht wirklich als Erwachsene, obwohl ich mich dabei beobachte, dass mein Verhalten zum Zucker schon „grenzwertig” war. Ich musste immer einen Vorrat an Süssem zu Hause haben, ob ich ihn aß oder nicht – Hauptsache, er war da. Er gab mir Sicherheit, dass ich zu jeder Zeit einen Zugriff darauf hatte, wenn ich ihn brauchte. Dies tat ich Jahre lang (ich bin mittlerweile 48 Jahre) – bis sich bei mir vor 9 Monaten echte körperliche Beschwerden zeigten. Ich leugnete, dass meine körperlichen Beschwerden vom Zucker kommen könnten, denn der Zucker war ja noch das letzte Glücksmittel, was ich hatte. Ich gab das Rauchen vor über 20 Jahren auf, trinke keinen Alkohol, ernähre mich fleischfrei und esse überwiegend Obst und Gemüse – auch gern frisch gebackenes Brot von meinem Freund und lebe echt gesund. Ich legte eine Gewohnheit nach der anderen ab. Nur der Zucker, was noch das „letzte Glücksmittelchen” , was ich hatte und diesen wollte ich unter keinen Umständen aufgeben. Und darauf sollte ich ab sofort verzichten? „Nein – auf keinen Fall.” – war meine erste innere Antwort. Es war ein großer Widerstand in mir. Mir wirklich wirklich einzugestehen, dass ich zuckersüchtig bin und das meine Lage ernst ist – viel mir sehr schwer. Der Gedanke am Verzicht löste wieder einen alten körperlichen Schmerz aus. Mir wurde klar und deutlich, dass mein Körper eine klare Ansage gemacht hat. „Carmen, wenn Du damit nicht aufhörst, dann wirst Du bald nicht nur diese Schmerzen haben, sondern noch mehr Schmerzen dazu bekommen.” Selbst mein Freund Dirk sagte mir dies klar und deutlich und ich fing an, innerlich zu weinen. In solchen Momenten der Wahrheit hätte ich sofort zum Zucker gegriffen, um mich zu trösten. Aber als ich dieses tiefe Weinen spürte, wusste ich, dass in mir Etwas ganz ganz traurig war, was ich jahrelang ignoriert hatte. Dieses Etwas wollte einfach leben und gesund bleiben und ich bin es, die es in der Hand hat, dies zu realisieren und sonst niemand auf der Welt kann das für mich tun. Ich habe mich jahrelang vom Zucker versklaven lassen. Ich beschloss, sofort alles, was mit Zucker zu tun hat, nicht mehr in meinem Mund zu nehmen.
Die ersten Tage ohne Zucker waren echt eine Qual. Ich verschenkte all meine gebunkerten Süssigkeiten meiner Nachbarin. Der Schmerz war da, aber ich ließ ihn zu. Meine Absicht – gesund zu werden und zu bleiben – war viel Größer als dieser Schmerz des Verlustes (Verzichtes) in mir. Ich beobachte mich in den ersten Wochen sehr genau, wann sich die Zuckergier zeigte und habe sehr interessante Erfahrungen mit mir und meinem Leben ohne Zucker machen können. Als erstes viel mir sofort am ersten Tag auf, dass ich Hunger hatte. Dieses Gefühl an echtem Hunger, der mir sagt, dass ich echte Nahrung zu mir neben muss, kannte ich schon jahrelang nicht mehr. Ich fing an, wieder richtig zu essen. Ich hab zwar vorher auch gegessen, aber ich hatte eben nie Hunger – wie auch, wenn ich schon ein paar Kohlenhydrate in Zuckerform in mir hatte. Das zweite, was sich sofort einstellte war – ich wurde schnell müde. Anstatt nun Zucker als Aufputschmittel oder Energiezufuhr zu nutzen – das hatte ich unbewusst besonders abends oder nach einer körperlichen sportlichen Betätigung getan – ging ich ins Bett schlafen. Das war für mich sehr schwer, dem nachzugehen, weil mein Verstand mir sagte: „Hey Carmen, der Tag ist noch nicht vorbei. Du musst noch etwas tun.” Doch mein Körper war anderer Meinung. Er war einfach sehr müde und brauchte Ruhe und Schlaf. Und ich schlief. So gut wie in den ersten Wochen ohne Zucker hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen. Mein Körper war total erschöpft und ich hatte das überhaupt nicht bemerkt, weil ich ihn mit Zucker stets wach hielt und / oder ihn mit Zuckerenergie zu pumpte, was er überhaupt nicht verarbeiten konnte. So brauchte ich mich auch nicht zu wundern, dass ich schlecht schlafen konnte. Ich wach so überrascht und froh, wieder endlich gut schlafen zu können. Das überzeugte mich total, dass wirklich der Zucker Etwas mit meinem Nicht ‑Schlafen-Können und mit meinen körperlichen Beschwerden zu tun hatte. Vor dem Zuckerverzicht schob ich das auf Berlin. Aber das stimmte einfach nicht. Berlin ist nur ein Teil – aber die Hauptursache meines schlechten Schlafes und meiner Beschwerden lag am Zuckerkonsum. Ich selbst war mit meinem eigenen Verhalten die Ursache dafür.
Nach diesen wichtigen Erkenntnissen kamen neue Erkenntnisse, warum ich Zucker zu mir nahm.
Ich aß Zucker, wenn mir langweilig war.
Ich aß Zucker, wenn ich traurig war und Trost brauchte.
Ich aß Zucker, wenn ich mich belohnen wollte, weil ich Etwas besonderes geleistet hatte.
Ich aß Zucker, wenn ich Energie brauchte, aber eigentlich erschöpft war oder richtige Nahrung brauchte. Den Unterschied konnte ich mit Zucker in meinem Körper nicht erkennen.
Ich erkannte, dass ich mir alles selbst geben wollte. Ich wollte niemanden um Trost bitten – denn ich konnte mich selbst trösten und brauchte keine Hilfe. Dafür war der Zucker da. Ich wollte auch ungern Nein zu jemandem sagen. Ich aß dafür Zucker und hatte genügend Energie für das „JA”, welches eigentlich ein Nein sein durfte. Ich wollte immer wach sein, weil ich Angst hatte, ich würde Etwas verpassen. Obwohl ich eigentlich müde war, raubte ich mir selbst den Schlaf durch den Zucker.
Was mache ich jetzt anders?
Wenn ich Energie brauche, dann muss ich Etwas Essen. Ich esse einfach – aber keinen Zucker.
Wenn ich Trost brauche, dann gebe ich ihn mir in Form von wohltuenden Gedanken oder frage zum Beispiel Dirk, ob er mich trösten kann. Ich fühle einfach, wenn ich traurig bin und bin für mich da. Und wenn mir langweilig ist?? – Puhhhhhhh – das ist herausfordernd, mit der Langeweile zu sein. Aber ich tue mein Bestes und lass die Langeweile auch da sein. Ich fühle da die Unruhe in mir, ich fühle den Antreiber in mir, ich fühle die Sinnlosigkeit in mir, ich fühle die Unzufriedenheit in mir, ich fühle den Wunsch nach Weiterentwicklung in mir und so weiter. Das sind ganz spezielle und herausfordernde Momente – die ich oft mit Zucker gedeckelt habe – ich dies aber jetzt ganz bewusst annehme und fühle.
Wenn ich müde bin, dann diszipliniere ich mich, ins Bett zu gehen. Das ist auch nicht immer leicht, weil der innere Antreiber sich oft zu Wort meldet, dass ich doch den Tag voll ausnutzen sollte. Aber mein Körper spricht oft eine andere Sprache und dem muss ich einfach nachgehen. und das Gute ist, dass ich jetzt ohne Zucker wirklich viel besser schlafen kann. Gott sei Dank.
Ich brauchte erst einen echten und ernsten Grund, um auf Zucker zu verzichten – und nur so war es mir möglich, auf diese nachfolgenden Erkenntnisse zu stoßen. Und dafür bin ich sehr dankbar. Und welche Erkenntnis habe ich nun daraus gezogen? Der Weg des Verzichtest auf Zucker eröffnete mir den Raum, gesund zu bleiben und darüber hinaus Etwas über mich zu erfahren, was ich sonst niemals erfahren hätte.
Kann ich das verallgemeinern? Ich glaube Ja.
Aus der Erfahrung des Verzichtest kann Etwas sehr schönes und wertvolles erblühen.
Es ist es lohnenswert, wirklich mal auf Etwas zu verzichten, um herauszufinden, was sich dahinter verbirgt.
Bin ich nun frei vom Zucker? Nein. Ich werde diesen Teil immer in mir tragen.
Hab ich auch wieder mal ein Stück Süsses gegessen? Ja, aber nur in der Familie bei einem Anlass (Geburtstag) und ich habe gefühlt, wie nah die Grenze zum Missbrauch des Zuckers für mich fühlbar wird. Ich werde hier wachsam bleiben müssen und mich immer wieder beim Verzehr von einem Stück Süssem erneut prüfen.
Ich grüße Euch herzlich.
Carmen Arndt
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